
Die Mauer - für einen Deutschen ist der Begriff eindeutig besetzt.
The Wall - für Menschen weltweit (ab zirka 30) steht dieser Begriff für Pink Floyd.
Und zumindest hier, in Ostdeutschland, vermischte sich beides, nicht zuletzt durch das monumentale Konzert auf dem (damals noch leeren) Potsdamer Platz am 21. Juli 1990. Genau dort, wo „Die Mauer“ verlief, stand nur „The Wall“. Mitten durch das Konzertgelände verlief zu diesem Zeitpunkt noch eine Grenzlinie. Ereignisse, wie dieses halfen, sie auch gedanklich einzureißen - dachten wir.
Da sich hierzulande kaum jemand mit dem eigentlichen Inhalt des Pink Floyd Werkes auseinandergesetzt hatte, erhielt „The Wall“ damit eine politische Dimension. Hatten wir in den Jahren zuvor noch lauthals die einzigen Textzeilen mitgesungen, die mit leidigen Englisch-Kenntnissen hängenblieben: „We don't need no education, We don't need no thought control .. Hey, teacher, leave us kids alone“, verband sich das Stück ab 1990 mit dem Mauerfall in Berlin.
Dabei geht es darin um Pink, einen am Leben verzweifelten Mann, der um sich herum eine Mauer errichtet, die Ursachen seiner empfundenen und darüber ganz real gewordenen Misere versucht von sich fernzuhalten, wo diese ihre Wirkung doch längst entfaltet haben, und insbesondere von der eigenen Vergangenheit eine Abschottung nicht gelingt.
Natürlich kann, was im Persönlichen gilt, auf den gesellschaftlichen Maßstab übertragen werden. Ist die Gesellschaft doch nichts anderes, als die Kumulation des Individuellen.
Was in der Gesellschaft passiert, wenn als schlafend (oder ruhiggestellt) vermutete Geister wach werden, ist derzeit am weltweit um sich greifenden Populismus und Nationalismus zu beobachten. Da geht es um Mauern, Abgrenzung und Ausgrenzung.
The Wall und Die Mauer sind mit einem Mal im Bösen vereint an der Tagesordnung. Und das Piccolo Theater trifft mit seinem JugendTanzStück genau den Puls der Zeit. Was nicht nur thematisch gilt, sondern ganz besonders die erlebte, faszinierende Umsetzung meint.
Es ist hierbei wichtig, über gebräuchliche Worte nicht einfach hinweg zu lesen, „erlebt“ meint wirklich „erLEBEN“. Was die Jugendlichen hier mit den Mitteln des körperlichen Ausdruckes zeigen, ist Leben pur, ist tief empfundene Identifikation mit dem ganz Persönlichen ebenso, wie mit dem großen Ganzen. Hier tanzen junge Persönlichkeiten im klaren Bewusstsein der Gesellschaft um sie herum und ihrer Rolle, ihrem Platz darin - dem Suchen danach und dem Finden der ambivalenten Realität.
Für das Piccolo, als Kinder- und Jugendtheater, ist die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen auf dem Weg vom Kind zum Jugendlichen zum Erwachsenen (was auch immer das ist) die ganz selbstverständliche Aufgabe. In welcher künstlerischen Weise, in welch vielfältigen Formen und mit welchen immer und immer wieder beeindruckenden Ergebnissen hier gearbeitet wird, ist jedoch besonders.
Und als nun Reinhard Drogla, ausgehend von einem Erlebnis in Tel Aviv, die Idee hatte, auch der eigenen Tanzsparte eine ähnliche Plattform zu geben, wie dem Schauspiel mit dem Theaterjugendclub, konnte man bereits davon ausgehen, dass Cottbus erneut eine vom Piccolo ausgehende Bereicherung bevorsteht.
Als Gast wurde Zaida Ballesteros Parejo, eine aus Spanien stammende, international tätige und erfolgreiche Tänzerin, Choreographin und Tanzlehrerin für die Erarbeitung dieser Produktion gewonnen. Sie lebt und arbeitet in Deutschland, Spanien und der Schweiz, hat ein Lehrauftrag für Tanztechnik am Mozarteum, Salzburg, arbeitet als Tänzerin mit großartigen Companien, als Leiterin eines Kunstprojektes für Kinder in Costa Rica, gastiert mit eigenen Produktionen auf Festivals, … .
All diese Erfahrung und dieses Können kamen nun der frisch gegründeten JugendTanzCompany des Piccolo Theaters zugute. Voraussetzungen, die besser kaum sein könnten. Jugendarbeit in bestmöglicher Form.
Was Zaida Ballesteros Parejo und die Jugendlichen gemeinsam erarbeiteten, ist ein Werk von erheblichem Gewicht. Was da tänzerisch und choreographisch oft anspruchsvoll so leichtfüßig über die Bühne fließt, ist voller Ausdruck, Gefühl und höchster Aussagekraft. Es geht um die verschiedenen Ebenen von Mauern, jedoch auch immer wieder um Brücken; um Kraft und Schwäche, um das Persönliche und um die Gruppe, es geht durch die Zeit von einem Damals, das teils noch vor dem der eigenen Eltern liegt, zu einem sehr deutlich werdenden Heute. - Was für eine wirklich großartige Leistung des jungen Ensembles.
2010 - in der Produktion „Blackbox“ des TheaterJugendClubs fiel die Frage: „Fühlt Ihr Euch sicher?“ Eine Frage, die heute berechtigter scheint, als noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten. Angesichts der eindrucksvollen Inszenierung antwortete ich damals in meiner Rezension: „Ja. Solange es solche wie Euch gibt. Ja!“ - Als Fazit zu „The Wall“ stelle ich dieser Aussage gern viele Ausrufezeichen hinzu.
Es tanzen: Enid Raach, Hannah Scharnholz, Liza Noack, Anna-Liddy Müller, Elena Schaumkessel, Valeriia Sheverneva, Anna-Lena Goldberg, Rebecca Adam, Carolin Nikolay, Jannik Karstan und Steven Noack; Choreographie: Zaida Ballesteros Parejo
Vorstellungen:
Fr 03.02.2017 19.00 Uhr The Wall
Sa 04.02.2017 19.00 Uhr The Wall
Die 07.02.2017 19.00 Uhr The Wall
Mi 08.02.2017 19.00 Uhr The Wall
Do 09.02.2017 19.00 Uhr The Wall
KARTEN: 0355-23687 oder info@piccolo-cottbus.de
Foto: Michael Helbig
Vorabveröffentlichung aus KULTURMAGAZIN BLICKLICHT, Cottbus-Lausitz, Ausgabe 02-2017