
„Strafe für vegane Mütter“ schreibt Enorm*, „Eltern die ihre Kinder vegan ernähren, müssen bestraft werden“ titelt der Stern (10. August 2016, gefunden auf www.stern.de) – beide Artikel stehen exemplarisch für eine ganze Welle von Texten, die diesen Sommer in verschiedenen Medien veröffentlicht wurden. Alle handeln sie von der italienischen Politikerin Elvira Savino und ihrer Idee bzw. der Forderung, Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, gehörten verurteilt und bestraft, ja gar inhaftiert, da vegan per se eine Mangelernährung sei (Anmerkung: Diskussion hier grob vereinfacht dargestellt). Ein Vorschlag, der schnell durch ganz Europa geisterte, Einzug in eben besagte Schlagzeilen hielt und natürlich Anlass gab anderenorts auch mal wieder die alte Essensdiskussion hervorzukramen. Sozusagen alle Vorurteile auf den Tisch und los geht’s. Natürlich blieb auch Deutschland nicht verschont (Logisch! Im Land von Eisbein, Bratwurst und Kohlroulade).
Nun kann man die Haftstrafe für Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, belächeln oder als Sommerlochidee abstempeln. Wer aber glaubt, dass die Leute hierzulande etwas weniger dramatisch denken und ticken, der irrt gewaltig (Überraschung !). Unser Landwirtschaftsminister Christian Schmidt zum Beispiel (CSU, noch eine Überraschung), der bereits so oft mit Halbwissen und/oder Untätigkeit an den falschen Stellen glänzte, hat zum Thema vegane Ernährung auch eine Meinung und eben diese wieder hervor gekramt: „So gefährlich ist die vegane Ernährung für Kinder“, veröffentlichte dazu die Welt einen Artikel (Autorin: Wiebke Hollersen, 11. Januar 2016, gefunden auf www.welt.de). Auch die Bildzeitung trötete mit ins Horn (wieder eine Überraschung). Von „Vegan-Wahn, der endlich aufhören muss“ ist da immer wieder die Rede… im ganzen „Anti-Vegan-Wahn“ – wer hier nun welchem Wahn unterliegt, ist bis dato noch zu klären. Sachliche Lagebeurteilungen scheinen ebenso wenig zu Herrn Schmidts Fähigkeiten zu gehören, wie die vegane Ernährung zwingend eine Mangelernährung sein muss.
Und wo wir gerade dabei sind: gut recherchierte und neutrale Berichterstattung sieht natürlich auch irgendwie anders aus. Denn: Die Frage was denn dann eigentlich mit den Eltern passiert, die ihren Kindern (nur/überwiegend) Cola, Chips und Fast Food „füttern“, stellt keiner bzw. lässt sich die nur in den entsprechenden Kommentarzeilen unter den jeweiligen Artikeln finden, in denen sich erwartungsgemäß die ganze Argumentationshülle und -fülle der Carnivoren vs. Non-Carnivoren anschließt. Gleiches gilt für die Frage, ob denn nicht jede Ernährungsweise irgendwie von den Eltern oktroyiert sei. Auch diese Betrachtungsweise sucht man vergebens, von einer generell unvoreingenommenen Berichterstattung über die Aspekte veganer Ernährung mal ganz zu schweigen (Die Autorin dieses Textes schließt sich da mit ein.) Vegan will an die guten deutschen Essgewohnheiten? Vegan ist also böse.
So oder so, am Essen scheiden sich die Gemüter – oder eben das gute und schlechte Gewissen.
Was will jetzt eigentlich diese lange Einleitung? Sie möchte gern ein zu einer Buchvorstellung überleiten, die sich nicht nur ideal als Leseempfehlung für die Autoren aller dieser „Artikel“ eignet – vor allem auch für den Herrn Schmidt von der CSU – sondern auch genau zum richtigen Zeitpunkt in einer Diskussion kommt und mal zeigt wie es (anders) gehen kann:
„Vegane Eltern – junges Gemüse. Handbuch für den Familienalltag“ von Corinne Matzke und Jonas Engelmann ist im Juni diesen Jahres im Ventil Verlag erschienen. Der Titel ist recht selbsterklärend, die Herangehensweise nicht: Denn die beiden Autoren, selber Eltern, erheben gar nicht erst den Anspruch hier die wahren Lösungen gefunden und aufgeschrieben zu haben. Vielmehr können sie nur die „Stimmen zweier Eltern“ abbilden, die sich „darüber hinaus auch nicht immer einig sind.“ Deswegen haben sie sich auch die Stimmen weiterer Eltern, BloggerInnen, PädagogInnen und ErnährungsexpertInnen dazugeholt: „Vieles sehen wir ähnlich, anderes würden wir ganz anders machen, doch, das haben wir in den Jahren unserer Elternschaft gelernt, es gibt nur selten eine Lösung, dafür aber viele Kompromisse. Wir hoffen, dass Ihr aus diesen Stimmen und Ideen Inspiration für euren eigenen Alltag findet und eigene Ideen Lösungen auf dem holprigen Weg veganer Familien entwickelt.“ (Zitat aus dem Vorwort)
Genau da verbergen sich auch die (geheimen) Superkräfte dieses Buches, kommt es schließlich so wunderbar undogmatisch, leicht und ungezwungen, eben so gar nicht klischeehaft bekehrend daher: Es gibt ebenso wenig den einen richtigen Veganer, wie es eben die perfekten Eltern gibt. Fehler und Probleme gehören zum Weg dazu, hier sind ein paar Lösungsmöglichkeiten – das vermittelt dieses Buch glaubhaft und authentisch. Und ganz nebenbei gibt’s noch gut ausgewählte und nachvollziehbare Einblicke in die kindliche Psyche, in Handlungs- und Denkweisen. Auf seinen 126 Seiten deckt es umfassend und ansprechend geschrieben so ziemlich alles, was junge (vegane) Eltern beschäftigt. Gegliedert in drei große Bereiche „Die vegane Lebensweise vermitteln“, „Familienalltag“ und „Ganz nach unserem Geschmack: Gesunde Ernährung“ widmen sich Matzka und Engelmann allen relevanten Themen: von der kindgerechten Vermittlung des Warums der veganen Ernährung, Trotzphasen und Kompromissbereitschaft, Verständnis und Vorbildfunktion, über die vegane Produktvielfalt hin zu einer detaillierten Aufschlüsselung aller benötigten Nährwerte – jeweils betrachtet aus verschiedenen Perspektiven – eben der autoreneigenen und der der BeitragsschreiberInnen. (An dieser Stelle, lieber nicht-veganer Leser dieses Artikels: Nein, es wird nicht geraten, die Kinder zur veganen Ernährung zu zwingen! Wenn das Kind tierische Produkte essen will, darf es das).
Deutlich wird auch das Matzka und Engelmann keinen Unterschied machen zwischen der Vermittlung der veganen Lebensweise und beispielsweise der Ablehnung von Gewalt, Rassismus oder Homophobie – Veganismus ist eben ein Wert unter vielen, ein Baustein auf dem Weg des Erwachsenwerdens. Nach so viel Selbstverständlichkeit sucht man in anderen Büchern vergebens. Toll!
Ein Erziehungsratgeber auf Grundlange eines dogmenfreien und zwanglosen Veganismus, also? Vegane Eltern – junges Gemüse“ von Corinne Matzke und Jonas Engelmann ist der Tipp!
Erna Klemm
Vegane Eltern – junges Gemüse
Handbuch für den veganen Familienalltag
Corinne Matzka / Jonas Engelmann
ISBN 978-3-95575-029-9
12,90 €